Hardegsen (mhd). Es war ein unübersichtliches Szenario, das am Ende rund 120 Hilfskräfte in Atem hielt: Die Großübung von Maltesern aus der Diözese Hildesheim, ASB und Feuerwehr Hardegsen am Samstag, 20. April 2024, am Sportplatz in Hardegsen hatte nahezu alles zu bieten, was eine Übung möglichst realistisch macht: Zerstörung, Verletzte, Vermisste – und sogar den Überraschungseffekt.
War es die Strafe für schlechte Musik? Sicher ist, dass es ein Blitzschlag war, der die Bühne bei einem angenommenen Open-Air-Konzert auf dem Sportplatz von Hardegsen zum Einsturz brachte. Binnen Sekunden lag die Bühne in Trümmern und 26 Patienten verletzt auf dem Boden.
Tamina Barabasch und Dennis Müller von der Übungsleitung hatten sich viel Mühe gegeben, diese Großübung möglichst realitätsnah zu gestalten. Seit Oktober vergangenen Jahres waren die beiden Malteser aus Göttingen und Braunschweig mit der Planung beschäftigt: Umgestürzte Gitter simulierten die eingestürzte Bühne und Dorothea Aschoff von der Realistischen Unfall- und Notfalldarstellung (RUND) sorgte für plastische Wunden. Seit dem frühen Morgen hatte die erfahrene RUND-Leiterin der DLRG 20 Personen aus ihrem Darstellerpool bei feuchtkaltem Wetter mit Hilfe von Kunstblut und spezieller Knete Schnittverletzungen und Knochenbrüche zugefügt. Nun lagen sie da, die „Verletzten“, zwischen Übungspuppen und Rauchtöpfen, schrien und wimmerten oder liefen im simulierten Schock einfach weg. Dazwischen immer wieder verzweifelte Menschen und Angehörige, die helfen wollten und den Rettern im Weg standen – sehr lebensecht gespielt!
Wie bei allen Großveranstaltungen, so war auch bei diesem angenommenen Open-Air-Konzert ohnehin ein Sanitätsdienst vor Ort, angesichts des Unglücks aber völlig überfordert, so dass der Gruppenführer sofort weitere Hilfskräfte anfordern musste. Ein Rettungswagen (RTW) der Braunschweiger Malteser erreichte laut Übungsplan als erstes den Unfallort. Dessen Besatzung sichtete alle Patienten, um die weitere Versorgung in die Wege zu leiten. Da die Zahl der Verletzten hoch war und die Verletzungen erheblich, sah der Gruppenführer aufgrund der Sichtung der insgesamt 26 Patienten eine MANV25-Lage – in der Sprache der Retter bezeichnet das einen Massenanfall von Verletzten und Betroffenen mit bis zu 25 Patienten. Daraufhin wurden weitere Einheiten der beteiligten Gliederungen und Organisationen „alarmiert“, unter anderem Sanitäterinnen und Sanitäter aus den Malteser-Stadtgliederungen Hildesheim, Hannover, Braunschweig und Göttingen.
Auch Helferinnen und Helfer der Schnelleinsatzgruppen (SEG) Nörten-Hardenberg und Hannoversch Münden des Arbeiter Samariter Bundes (ASB) kamen zum Einsatz – und nicht zuletzt die Feuerwehr aus Hardegsen. Von deren Ehrenamtlichen waren nur wenige vorab in diese Übung eingeweiht. Als um 10.17 Uhr die ersten Feuerwehrleute über Pieper alarmiert wurden und um 10.32 Uhr die zweite Alarmierung mit Sirene ertönte, folgten rund 30 Männer und Frauen diesem Ruf.
Während der Übung wurde ein „Patient“ durch seine Angehörigen als vermisst gemeldet, worauf die Drohnengruppe der Braunschweiger Malteser das weitläufige Gelände absuchte. Parallel dazu behandelten Sanitätsgruppen vor Ort die „Verletzten“ je nach Priorität und ließen sie fiktiv an umliegende Krankenhäuser verteilen.
Für alle eingesetzten Kräfte war diese Großübung eine gute Gelegenheit, das Zusammenspiel der einzelnen Hilfskräfte zu üben, für acht angehende Gruppenführer des laufenden Lehrgangs der Malteser zudem die Chance, Führungserfahrung zu sammeln. Sie standen vor der Aufgabe, die gelernte Theorie in der Praxis anzuwenden: Welche Maßnahmen werden zuerst eingeleitet? Wie viele Kräfte werden zusätzlich benötigt und welche Patienten brauchen am dringendsten Hilfe? Dies alles galt es in kurzer Zeit zu entscheiden. Beobachtet wurden sie dabei von erfahrenen Männern und Frauen aus Katastrophenschutz und Sanitätsdienst, die sich mit Block und Stift eifrig Notizen machten. „Es gibt nicht immer die einzige richtige Entscheidung“, erklärte Jan Zantopf, einer der Beobachter der Malteser aus Hildesheim. „Wenn mir ein angehender Gruppenführer logisch und gut begründen kann, warum er welche Maßnahme ergreift, dann lasse ich das gelten.“
Gegen Mittag waren alle „Patienten“ versorgt und das Material wieder in die 31 Fahrzeuge verpackt. Bevor es zum gemeinsamen Mittagessen in das Feuerwehrhaus ging, wo die Betreuungs- und Verpflegungsgruppe der Hildesheimer Malteser gekocht hatte, blieb noch Zeit für eine erste Zwischenbilanz: Von einer erfolgreichen Übung, sprach Thomas Pleßmann, Stadtbrandmeister von Hardegsen. Dennoch habe sich gezeigt, dass die Zusammenarbeit mit den ehrenamtlichen Hilfsdiensten noch öfter geübt werden müsse. Auch Übungsleiter Dennis Müller war zufrieden: Eine Chaosphase von bis zu einer Stunde nach einem Unglück sei normal, sagte der erfahrene Zugführer des 2. Zuges der Braunschweiger Malteser. Hier habe sie etwas länger gedauert, was aber angesichts teilweise noch unerfahrener Führungskräfte völlig in Ordnung sei.
Der Dank an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Übung war am Ende jedenfalls groß. In den kommenden Wochen will die Übungsleitung nun in die beteiligten Stadtgliederungen der Malteser fahren, um dort die Beobachtungen auszuwerten.